Wie Sportler mit Rituale siegen

Wie Sport­ler mit Rituale sie­gen

Vom Tra­gen bestimm­ter Kla­mot­ten, über das Essen des glei­chen Gerichts, bis zu son­der­ba­ren Ver­hal­tens­wei­sen im Wett­be­werb: Aber­gläu­bi­sche Rituale sind im Sport selbst auf Top-​​Niveau weit ver­brei­tet – ein Phä­no­men, das die Gren­zen zwi­schen Psy­cho­lo­gie und Aber­glau­ben ver­schwim­men lässt. Wir beleuch­ten in die­sem Arti­kel, wieso gerade im Sport von sol­chen «magi­schen Glücks­brin­gern» Gebrauch gemacht wird, was sie zur wich­ti­gen Kom­po­nente für opti­male Leis­tung macht und warum sie für einige der welt­weit bes­ten Ath­le­ten so wich­tig sind.

Trotz hoch­mo­der­ner Trai­nings­me­tho­den und akri­bi­scher Vor­be­rei­tung suchen viele Spit­zen­sport­ler Halt in aber­gläu­bi­schen Ritua­len und Glücks­brin­gern. Ein Para­de­bei­spiel hier­für ist die Ten­nis­le­gende Rafael Nadal: Von der akku­ra­ten Plat­zie­rung sei­ner Geträn­ke­fla­schen vor sei­ner Spie­ler­bank bis hin zu sei­nem ein­zig­ar­ti­gen Handtuch-​​Ritual beglei­ten diese Marot­ten den Aus­nah­me­spie­ler auf jedem Tennis-​​Court.

Doch die­ser Hang zum Aber­glaube ist kein Ein­zel­fall. In die­sem Arti­kel wer­fen wir einen genaue­ren Blick auf die fas­zi­nie­rende Ver­bin­dung von Aber­glaube und Spit­zen­sport, um zu ver­ste­hen, wie diese schein­bar «skur­ri­len Gewohn­hei­ten» die psy­cho­lo­gi­sche Ver­fas­sung und somit auch die sport­li­che Leis­tung beein­flus­sen.

Fol­gen­des sei an die­ser Stelle vor­weg­ge­sagt: Aber­gläu­bi­sche Rituale sind unge­wöhn­li­che, wie­der­holte und starre Ver­hal­tens­wei­sen. Die­je­ni­gen, die sie durch­füh­ren, erwar­ten von ihnen einen posi­ti­ven Ein­fluss auf das Ergeb­nis eines Ereig­nis­ses, obwohl keine ursäch­li­che Ver­bin­dung zwi­schen den bei­den Din­gen besteht (Womack, 1992). Rituale haben eine lange Geschichte im Sport und sind ein weit­ver­brei­te­tes Phä­no­men – unab­hän­gig von Sport­art und Wett­be­werbs­ni­veau. Doch wie beein­flusst Aber­glaube tat­säch­lich die sport­li­che Leis­tung? Han­delt es sich bloss um einen Mythos oder ver­birgt sich dahin­ter ein mess­ba­rer sport­li­cher Nut­zen?

Rituale im Sport

Sport­wett­kämpfe sind äus­serst kom­plexe Ereig­nisse, die in der Regel für Sport­ler von hoher Bedeu­tung sind. Nicht sel­ten wird sich wochen­lang auf ein bestimm­tes Spiel oder Tur­nier vor­be­rei­tet. Der Gedanke daran, dass das Ergeb­nis eines Wett­kamp­fes nicht (aus­schliess­lich) in der eige­nen Macht liegt, ver­setzt viele Ath­le­ten in Angst (Jack­son & Mas­ters, 2006). Selbst wenn die eige­nen sport­li­chen Fähig­kei­ten der ent­schei­dende Fak­tor für den Erfolg sind, gibt es gewisse insta­bile Fak­to­ren, wie z. B. Schieds­rich­ter­ent­schei­dun­gen oder die Stärke des Geg­ners, die eben­falls mit­be­stim­men, wer am Ende tri­um­phiert. Aber­gläu­bi­sche Hand­lun­gen und Rituale ent­ste­hen dem­nach auf­grund des Wun­sches, das Unkon­trol­lier­bare zu kon­trol­lie­ren (Dömö­tör et al., 2016).

Man kann also Aber­glaube und Rituale im Sport als eine Form der Gewohn­heit ver­ste­hen, die Ath­le­ten prak­ti­zie­ren, um ein ver­stärk­tes Gefühl der Kon­trolle zu erlan­gen und auf diese Weise ihre Angst zu regu­lie­ren. Durch das Befol­gen von Ritua­len oder das Tra­gen von Glücks­brin­gern erzeu­gen Ath­le­ten das Gefühl, aktiv etwas zu unter­neh­men, um ihren Erfolg wahr­schein­li­cher zu machen. Doch wie ent­ste­hen diese schein­bar irra­tio­na­len Rituale und Über­zeu­gun­gen?

Die Psy­cho­lo­gie aber­gläu­bi­scher Rituale

Laut Dömö­tör und ihren Kol­le­gen (2016) sind die meis­ten aber­gläu­bi­schen Ver­hal­tens­wei­sen das Ergeb­nis einer zufäl­li­gen Kon­di­tio­nie­rung, bei der Men­schen eine Ver­knüp­fung zwi­schen zwei gleich­zei­tig auf­tre­ten­den, jedoch nicht mit­ein­an­der ver­bun­de­nen Ereig­nis­sen her­stel­len.

Ange­nom­men, eine Ten­nis­spie­le­rin kehrt nach einem spek­ta­ku­lä­ren Sieg in die Umkleide zurück. Sie setzt sich auf ihren Platz und das Erste, was sie sieht, sind ihre auf­fäl­lig roten Socken. Auf­grund des posi­ti­ven sport­li­chen Ergeb­nis­ses erlebt diese Spie­le­rin in die­sem Moment eine unbe­ab­sich­tigte, zufäl­lige Kon­di­tio­nie­rung, indem sie glaubt, dass die roten Socken einen Ein­fluss auf ihren Erfolg hat­ten.

In den fol­gen­den Spie­len ent­schei­det sich die Spie­le­rin dann absicht­lich dazu, die roten Socken erneut zu tra­gen, in der fes­ten Über­zeu­gung, dass sie ihr Glück brin­gen und ihren Sie­ges­zug fort­set­zen wer­den. Obwohl sie in Wirk­lich­keit auf­grund ihrer Fähig­kei­ten gewinnt, kann die posi­tive Ver­knüp­fung zwi­schen den roten Socken und dem Erfolg zu einem aber­gläu­bi­schen Ver­hält­nis füh­ren. Das Tra­gen der roten Socken wird dann zu einem fes­ten Bestand­teil ihrer Vor­be­rei­tung vor jedem Spiel, obwohl es kei­nen tat­säch­li­chen Zusam­men­hang zwi­schen der Farbe der Socken und der sport­li­chen Leis­tung gibt.

Mythos oder Geheim­waffe?

Schip­pers und Van Lange (2006) fan­den in ihrer Stu­die her­aus, dass 4 von 5 Sport­ler min­des­tens eine aber­gläu­bi­sche Rou­tine haben, die sie vor einem Wett­kampf durch­füh­ren müs­sen. Ange­sichts die­ser ver­blüf­fen­den Häu­fig­keit unlo­gi­schen Ver­hal­tens liegt die Frage nahe: sind der­ar­tige Rou­ti­nen wirk­lich sinn­los?

Ein Blick auf die wis­sen­schaft­li­che Land­schaft zeigt uns, dass in meh­re­ren Unter­su­chun­gen tat­säch­lich ver­schie­dene Wir­kungs­wei­sen von Rou­ti­nen fest­ge­stellt wer­den konn­ten, die ihre Irra­tio­na­li­tät wider­le­gen.
Einer der Haupt­gründe, warum Rituale im Sport effek­tiv sind, liegt in der Schaf­fung von Struk­tur und Sicher­heit. Durch wie­der­holte Hand­lun­gen wird eine ver­traute Umge­bung geschaf­fen, die dem Ath­le­ten ein Gefühl von Kon­trolle ver­mit­telt. Die­ser men­tale Kom­fort kann dazu bei­tra­gen, Stress und Unsi­cher­heit zu redu­zie­ren, was wie­derum die Leis­tungs­fä­hig­keit ver­bes­sert (Bre­vers et al., 2011).

Rituale die­nen aus­ser­dem als Werk­zeuge zur Vor­be­rei­tung und Fokus­sie­rung vor einem Wett­kampf. Ein bestimm­ter Ablauf vor dem Spiel kann Ath­le­ten hel­fen, sich opti­mal auf die Her­aus­for­de­run­gen ein­zu­stel­len (Wright & Erdal, 2008). Indem sich Ath­le­ten auf ihre Rituale kon­zen­trie­ren, kön­nen sie den «Lärm» um sich herum und in ihrem Kopf aus­blen­den und in einen Zustand ver­tief­ter Kon­zen­tra­tion ein­tre­ten.

Die regel­mäs­sige Durch­füh­rung von Ritua­len trägt eben­falls dazu bei, posi­tive men­tale Zustände zu schaf­fen, wel­che ent­schei­dend sind für die Ent­wick­lung von Selbst­ver­trauen und Selbst­wirk­sam­keit (Damisch et al., 2010). Durch die Über­zeu­gung, dass die Rituale zum Erfolg bei­tra­gen, kön­nen Ath­le­ten ihr Selbst­ver­trauen stär­ken und sich bes­ser auf ihre Fähig­kei­ten ver­las­sen.

All diese Wir­kun­gen aber­gläu­bi­scher Rituale tra­gen also dazu bei, dass Ath­le­ten ruhi­ger, selbst­be­wuss­ter und sie­ges­si­che­rer in einen Wett­kampf zie­hen. Somit schaf­fen sie die not­wen­di­gen Vor­aus­set­zun­gen für Ath­le­ten, ihren opti­ma­len Leis­tungs­zu­stand, häu­fig «Flow» genannt, zu errei­chen (Lee et al., 2011). Rituale mögen dem­nach zwar nur einen indi­rek­ten Ein­fluss auf die sport­li­che Leis­tungs­fä­hig­keit haben, doch laut Bérdi et al. (2011) ist auch der hier zu beob­ach­tende Placebo-​​Effekt ein ernst zu neh­men­des Phä­no­men im Sport.


Exkurs

  • Selbst­wirk­sam­keit: Selbst­wirk­sam­keit beschreibt die Über­zeu­gung, dass bestimmte Her­aus­for­de­run­gen mit­tels der eige­nen Fähig­kei­ten erfolg­reich bewäl­tigt wer­den kön­nen. Die­ses Kon­zept, von Albert Band­ura ent­wi­ckelt, hat im Sport einen beson­ders hohen Stel­len­wert. Ein Ath­let mit hoher Selbst­wirk­sam­keit glaubt fest daran, dass durch eige­nes Kön­nen und Bemü­hun­gen posi­tive Resul­tate erzielt wer­den kön­nen. Im Zusam­men­hang mit aber­gläu­bi­schen Ritua­len im Sport zeigt sich, dass diese oft als Mit­tel zur Stei­ge­rung der Selbst­wirk­sam­keit die­nen, indem sie das Ver­trauen in die eigene Leis­tungs­fä­hig­keit stär­ken (Groß, 2023).
  • Placebo-​​Effekt: Der Placebo-​​Effekt im Sport bezieht sich auf eine posi­tive Ver­än­de­rung der Leis­tung, die auf­tritt, wenn ein Ath­let an die Wirk­sam­keit einer Mass­nahme glaubt, obwohl diese Mass­nahme keine nach­ge­wie­sene direkte phy­sio­lo­gi­sche Wir­kung hat. Ähn­lich wie im medi­zi­ni­schen Kon­text kann alleine der Glau­ben an die posi­tive Wir­kung eines Ritu­als zu rea­len Leis­tungs­stei­ge­run­gen füh­ren. Der Placebo-​​Effekt ver­deut­licht somit die enge Ver­knüp­fung von men­ta­len Pro­zes­sen und sport­li­cher Leis­tungs­fä­hig­keit (Bérdi et al., 2011).

Wenn Rituale zur Belas­tung wer­den

Trotz ihrer magi­schen Natur schei­nen Aber­glaube und Rituale bis hier­hin ein nütz­li­ches und posi­ti­ves Werk­zeug für Ath­le­ten zu sein. Es gibt aller­dings auch das andere Extrem; sie wir­ken dann eher hin­der­lich auf die psy­cho­lo­gi­sche Ver­fas­sung von Sport­lern. Sie wer­den in die­sem Fall zu abhän­gig von ihrem Aber­glau­ben oder Ritual und sind davon über­zeugt, dass sie ohne sie nicht erfolg­reich sein kön­nen. Das führt schliess­lich zu einem ein­schrän­ken­den Ver­hal­ten und es scheint, dass der Aber­glaube oder das Ritual den Ath­le­ten beherrscht. Der Aber­glaube ähnelt dann einer Zwangs­stö­rung, die die Frei­heit und Fle­xi­bi­li­tät des Sport­lers ein­schränkt (Maraz­ziti et al., 2021). Es scheint somit einen Kipp-​​Punkt zu geben, ab wel­chem aber­gläu­bi­sche Rituale der Leis­tung im Weg ste­hen kön­nen.

Sollte einem Ath­le­ten selbst oder sei­nem Umfeld ein der­ar­tig zwang-​​ oder krampf­haf­tes Ver­hält­nis zu sei­nen Ritua­len auf­fal­len, kön­nen fol­gende 3 Schritte durch­lau­fen wer­den, um wie­der zu einem posi­ti­ven und unbe­schwer­ten Gebrauch zurück­zu­fin­den:

  • Zunächst soll­ten sich Ath­le­ten ihrer Rituale und Aber­glau­ben bewusst wer­den. Dies beinhal­tet bei­spiels­weise die schrift­li­che oder gedank­li­che Auf­lis­tung der­je­ni­gen Ver­hal­tens­wei­sen, die sich als aber­gläu­bi­sche Rituale iden­ti­fi­zie­ren las­sen.
  • Anschlies­send sollte sich bewusst damit aus­ein­an­der­ge­setzt wer­den, wel­che tat­säch­li­che posi­tive Wir­kun­gen diese Rituale auf den eige­nen kör­per­li­chen und psy­chi­schen Zustand haben.
  • Als Drit­tes sollte sich die Frage gestellt wer­den, was pas­sie­ren würde, wenn die eige­nen Rituale vor einem Wett­kampf nicht aus­ge­führt wer­den wür­den.

Diese offene und kri­ti­sche Selbst­re­fle­xion ermög­licht es Ath­le­ten, den tat­säch­li­chen Ein­fluss ihrer Rituale auf­zu­de­cken und betont, dass Aber­glaube alleine keine Garan­tie für sport­li­chen Erfolg ist. Die Leis­tung hängt näm­lich von vie­len Fak­to­ren ab, dar­un­ter Talent, Trai­ning, men­tale Stärke und phy­si­sche Gesund­heit.

Es emp­fiehlt sich daher, Rituale als eine men­tale Stra­te­gie zu betrach­ten, die Ath­le­ten nut­zen kön­nen, um ihre Leis­tung zusätz­lich zu ver­bes­sern. Die­ser Ansatz nimmt ihnen ihre «magi­sche» Wir­kung und hebt statt­des­sen ihren tat­säch­li­chen psy­cho­lo­gi­schen Nut­zen her­vor. So wird aus irra­tio­na­lem Aber­glau­ben eine vor­be­rei­tende Wett­kampf­rou­tine.

Resü­mée

Ins­ge­samt zeigt die Betrach­tung des Aber­glau­bens im Sport, dass Rituale mehr sind als nur skur­rile Marot­ten. Es geht nicht um das Tra­gen Glück brin­gen­der Socken oder das son­der­bare Plat­zie­ren von Was­ser­fla­schen, son­dern um die psy­cho­lo­gi­schen Aspekte, die diese Hand­lun­gen beglei­ten.

Die Kom­ple­xi­tät von Sport­wett­kämp­fen bringt Ath­le­ten dazu, alles mög­lich zu pro­bie­ren, um die Unwäg­bar­kei­ten eines Sport-​​Events in den Griff zu bekom­men. Dabei kön­nen sie von «bewuss­tem Aber­glau­ben» pro­fi­tie­ren, solange sie sich sei­ner Aus­wir­kun­gen im Kla­ren sind und ihn gezielt ein­set­zen: Rituale kön­nen Struk­tur schaf­fen, Sicher­heit bie­ten und posi­tive men­tale Zustände för­dern. Sie sind Werk­zeuge zur men­ta­len Wett­kampf­vor­be­rei­tung und Fokus­sie­rung, und hel­fen somit, Ath­le­ten in den «Flow» zu brin­gen.

Trotz ihrer posi­ti­ven Wir­kun­gen gibt es aller­dings einen Haken. Ein über­mäs­si­ger Aber­glaube kann zu einer Leis­tungs­bremse für Ath­le­ten wer­den. Auf die­sem schma­len Grat zwi­schen Leis­tungs­stei­ge­rung und Leis­tungs­bremse kön­nen Ath­le­ten und Trai­ner mit Bewusst­wer­den, Aus­ein­an­der­set­zung und kri­ti­scher Selbst­re­fle­xion jedoch gut navi­gie­ren. Diese Mass­nah­men ermög­li­chen eine unbe­schwerte Nut­zung der Rituale.

Aber­gläu­bi­sche Rituale im Sport sind mehr als nur ein Mythos. Sie sind men­tale Stra­te­gien, um in den opti­ma­len Leis­tungs­zu­stand zu gelan­gen.

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