Dieser Artikel enthüllt Geheimnisse, wie aus talentierten Sportlern Weltklasse-Athleten werden. Der Weg führt über die Entwicklungspsychologie. Durch ein klareres Verständnis der Entwicklungsstufen nach Erik Erikson kann die Beziehung zwischen Trainern und Athleten revolutioniert werden. Erfahre in diesem Artikel, wie eine starke Zusammenarbeit aufgebaut wird, um die psychische Gesundheit Deiner Athleten zu verbessern und die sportliche Leistung zu steigern. Wertvoller Lesestoff für Trainer, die als Mentoren im persönlichen und sportlichen Wachstum ihrer Schützlinge glänzen wollen.
Nachdem die Deutsche Fussball-Nationalmannschaft die Fussball-WM 1990 gewonnen hatten, blieb Journalisten ein Moment besonders in Erinnerung: Teamchef Franz Beckenbauer schlenderte alleine und gedankenversunken über das Spielfeld. Er kommentierte es später in seiner humorvollen Art: «Ich wollte alleine sein. Schliesslich war ich sechs Wochen lang mit schwer erziehbaren Menschen zusammen.»
Beckenbauer spricht hier einen nennenswerten Aspekt für eine erfolgreiche Trainer-Athleten-Beziehung an: Menschen – und damit auch Athleten – durchlaufen Lebensphasen. Das betrifft ihre Persönlichkeit, Bedürfnisse und individuelle sportliche Fähigkeiten.
Im Folgenden liest Du mehr über die Entwicklungsstufen eines Menschen und was es in diesen zu beachten gibt. Danach zeigen wir, wie dies die psychische Gesundheit und Leistung Deiner Athleten positiv unterstützt. Und um dies in die sportliche Zusammenarbeit zu übertragen, geben wir Dir abschliessend noch 2 hilfreiche Praxis-Tipps.
Entwicklungsstufen
Stufe 1 (0-1 Jahr): Interaktion bringt Vertrauen
Im ersten Lebensjahr strebt ein Kind nach einem gesunden Gleichgewicht zwischen Vertrauen und Misstrauen. Hierbei ist es entscheidend, dass die primären Bezugspersonen des Kindes durch Interaktion und Fürsorge Sicherheit vermitteln. Dadurch erfährt das Kind eine Harmonie zwischen seinen eigenen Bedürfnissen und der Umwelt.
Stufe 2 (2-3 Jahre): Vom Spiel zum Körperbewusstsein
Das Kind nimmt in der zweiten Entwicklungsstufe eine aktive Rolle ein und verspürt das Bedürfnis nach körperlicher Unabhängigkeit und Selbständigkeit. Es erkundet seine Umgebung und möchte seinen (neu) entdeckten Willen ausleben. Sie lernen dabei durch Erfolg und Misserfolg und entwickeln ein für den Sport wichtiges Körperbewusstsein. Ab dem dritten Lebensjahr beginnen Kinder, ihre Handlungen bewusst zu erleben – sie nehmen sich als Handelnde wahr.
Stufe 3 (4-5 Jahre): Auf dem Weg zur Eigeninitiative
In der dritten Phase beginnen Kinder, Eigeninitiativen zu ergreifen und ihre Entscheidungsfähigkeit durch Experimentieren zu entwickeln. Sie treffen immer häufiger Entscheidungen unabhängig von ihren Bezugspersonen. Daraus entwickelt sich zusätzlich ihr Moralsinn, mit welchem sie zwischen «richtig» und «falsch» unterscheiden.
In dieser Entwicklungsphase sollte die Einführung von Kindern in den Sport sensibel und mit Bedacht erfolgen. Von aussen auferlegte Einflüsse, wie die von Eltern ausgewählte Sportarten, prägen Kinder in hohem Mass. Trotzdem verhilft Sport Kindern zu bedeutenden Erfahrungen: Sie lernen persönliche Ziele zu verfolgen, mit anderen zu konkurrieren und ihren eigenen Weg zu finden.
Stufe 4 (6-12 Jahre): Selbstwert und physische Kompetenz
In dieser Phase erkennen Kinder eigene Kompetenzen und Fähigkeiten. Sie setzen sich selbständig mit ihren Interessen auseinander und wollen in diesen aktiv mitwirken. Anhand ihrer Kompetenzen, Fähigkeiten und ihrem Mitwirken gemäss ihrer Interessen bauen sie ein Gefühl des eigenen (Selbst-)Werts auf.
Im sportlichen Kontext empfiehlt es sich daher, erreichbare Übungen und Aufgaben zu stellen sowie das Training flexibel zu gestalten. Die erfolgreiche Durchführung sollte mit Lob und Anerkennung gewürdigt werden. Auf diese Weise entsteht bei den Kindern Zuversicht und Vertrauen in ihre eigene Leistungsfähigkeit und Kompetenzen.
Stufe 5 (13-19 Jahre): Identität im Teenager-Alter
In der 5. Phase gestaltet der Mensch sein Selbstbild. Er befindet sich im Teenager-Alter und strebt nach der Antwort, wo sein Platz in der Welt ist. Dabei steht er in ständigem Abgleich mit sich selbst, seiner Umwelt und den Erwartungen seines Umfelds. Folgende Themen gehen ihm durch den Kopf: Beruf, Familie, Status, Liebe, aber auch Themen wie Politik, Herkunft oder Religion.
Auch der Sport leistet in dieser Phase einen nennenswerten Beitrag zur Identitätsbildung. Ganz besonders wird nach Idolen oder Vorbildern geschaut. Als Trainer nimmt man dabei eine Schlüsselrolle ein und gestaltet mit seinen Werten, Prinzipien und Verhaltensweisen das Selbstbild eines 13- bis 19-Jährigen aktiv mit.
Stufe 6 (20-40 Jahre): Soziale Integration und das “Wir-Gefühl”
Auch wenn die Volljährigkeit erreicht ist, suchen und stabilisieren Athleten in dieser Phase ihre Identität. Sie setzen sich weiterhin mit ihren Gefühlen und Gedanken auseinander. Neben diesen pflegen sie den Wunsch nach Intimität, Solidarität sowie Treue zu einer Gruppe oder einem Team.
Die Berücksichtigung dessen beugt ihren Rückzug in die Isolation vor. Zu beachten gilt hier: In Phase 6 befinden sich Athleten häufig an ihrem sportlichen Leistungshöhepunkt; der Sport ist allgegenwärtig. Um davon nicht “überrollt” zu werden, ist ein ausgewogenes Sozialleben von grosser Bedeutung.
Stufe 7 (40-65 Jahre): Wachstum
In dieser Stufe steigen Athleten vermehrt aus dem Leistungssport aus. Ihre Umgebung, Netzwerk, Routinen und Alltag verändern sich. Auf Grundlage dessen ist in dieser 7. Lebensphase der Rückhalt eines Coaches oder Mentors vorteilhaft.
In Phase 7 geht die Entwicklung in Richtung Fürsorge und bessere Zukunft für die Menschheit. Dieser Drang kann für neue sportliche Perspektiven aufgenommen werden; naheliegend ist hierbei der Beginn einer Trainertätigkeit im Nachwuchsbereich.
Stufe 8 (65+ Jahre): Zufriedenheit und Harmonie erreichen
In dieser Phase blickt man auf das eigene Leben zurück. Hierbei geht es darum, mit sich in Harmonie und Zufriedenheit zu kommen sowie das Glück des bisher gelebten Lebens zu erkennen.
Praxisbeispiele zu den Entwicklungsstufen
Entwicklungsstufe 20-40 Jahre
Der Rücktritt des deutschen Fussballspielers André Schürrle (Fussball-Weltmeisters 2014) sorgte für Aufsehen; mit gerade einmal 29 Jahren verkündete er sein Karriere-Ende. Er erklärte, dass er sich oft einsam gefühlt habe und der Entschluss zum Rücktritt lange in ihm gewachsen sei.
Schürrles Geschichte spiegelt die Herausforderungen der sechsten Entwicklungsstufe wider (Phase 20-40 Jahre). In dieser geht es um die Festigung der eigenen Identität über die Entwicklung enger Beziehungen, einem starken Gemeinschaftsgefühl und dem Austausch von Gedanken und Gefühlen. In dieser Phase seiner Karriere fand Schürrle jedoch keine solchen Anhaltspunkte.
Entwicklungsstufe 13-19 Jahre
Athletinnen zwischen dem 13. und 19. Lebensjahr können auf ihren monatlichen Zyklus mit Unsicherheit und Zurückhaltung reagieren.
Es ist dann wichtig, ein sicheres und verständnisvolles Umfeld zu schaffen, in welchem auch die Entwicklung des Körpers berücksichtigt wird. Dies ermöglicht es den Athletinnen, sich wohl und akzeptiert zu fühlen.
Überdies kann eine gezielte Planung der Trainingseinheiten vorgenommen werden, da das physische Verletzungsrisiko je nach Phase des monatlichen Zyklus variieren kann.
Resümee
Der professionelle Umgang mit solchen Feinheiten hat gedeihliche Auswirkungen auf die Zusammenarbeit zwischen Athlet und Trainer. Es zeigt sich insbesondere in der psychischen Gesundheit des Athleten, die auf lange Sicht den Unterschied zwischen einem talentierten Sportler oder Weltklasse-Athleten ausmacht. Der nächste Abschnitt erklärt den Aspekt «psychische Gesundheit» detaillierter.
Psychische Gesundheit
Es hält sich die Annahme, dass ein gedeihliches Entwicklungsumfeld (ohne emotionale und körperliche Tortur) nicht mit sportlicher Höchstleistung einhergehen kann. Doch dies ist unlängst widerlegt: Es zeigen zahlreiche Studien, dass eine Grundvoraussetzung für sportlichen Erfolg in einer guten psychische Gesundheit der Athleten liegt.
Zum anderen bestätigt dies zuletzt eine Umfrage der Swiss Olympics aus dem Jahr 2021: Es wurden 136 Athletinnen im Nachwuchsbereich aus 22 Sportarten gefragt, was ihnen für ihre sportliche Leistung und für ihr Training am bedeutsamsten ist. Die Hälfte aller Athletinnen gaben an: Das «Vertrauensverhältnis zum Trainer» und/oder die «Kommunikation zum Trainer». Das folgende Zitat bringt es dabei sehr treffend auf den Punkt:
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«Mein damaliger Regionalauswahltrainer hat sich nicht bloss für mich als Athletin, sondern auch für mich als Person und mein Umfeld interessiert. Das habe ich sehr geschätzt.»
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Halten wir an dieser Stelle somit fest: Die psychische Gesundheit eines Athleten ist die Grundvoraussetzung für sportlichen Erfolg. Zudem kommt es einem Wettbewerbsvorteil gleich, mit welchem ebenfalls die Wahrscheinlichkeit des sportlichen Durchbruchs eines Athleten steigt.
Damit Du dies als Trainer ebenfalls erreichst, geben wir Dir folgend 2 praktische Tipps an die Hand. Damit verbesserst Du die Beziehung zu Deinen Athleten und bringst jeden von ihnen zur Top-Performance. Ein Schlüsselelement liegt hierfür in der Kommunikation.
2 praktische Tipps für eine gelingende Athleten-Trainer-Beziehung
Tipp 1: Fragen (Vertiefe das Gespräch zielführend)
Die Qualität eines Gesprächs hängt zu einem Grossteil von den gestellten Fragen ab. Wir zeigen Dir im Folgenden 4 ausgesuchte Fragetypen. Damit vertiefst Du den Dialog mit Deinen Athleten und ihr gewinnt eine umfassende Sichtweise auf Euren sportlichen Weg zum Erfolg.
Offene Fragen
Offene Fragen enden nicht – wie geschlossene Fragen – in einer simplen Antwort wie «Ja» oder «Nein». Im Gegenteil: Sie regen ausführliche Antworten an. Das eröffnet Deinem Schützling mehr gedanklichen Spielraum und bringt auch eine umfassendere Antwort zutage. Beginne somit Deine Fragen mit Worten wie z. B. Wer? Was? Wo? Wie? Wann? Welche? etc. Hierzu folgendes Beispiel:
- Wie hast Du Dich in dieser Spielsituation gefühlt?
Statt: Hast Du Dich in dieser Spielsituation wohlgefühlt? - Was ging Dir in dieser Spielsituation durch den Kopf?
Statt: Kannst Du mir sagen, was Dir in dieser Spielsituation durch den Kopf ging?
Skalierungsfragen
Mal Hand aufs Herz: Auf einer Skala von 0 bis 10, wie fit fühlst Du Dich gerade, einen Halbmarathon zu bestreiten (0 ist die geringste Ausprägung und 10 ist die höchste)?
Skalierungsfragen helfen dabei, die individuelle Wahrnehmung Deiner Athleten besser einzuschätzen. Das schafft ein feineres Verständnis und ermöglicht zudem, die Trainings auf Grundlage ihrer subjektiven Bewertung anzupassen.
Erforschende Fragen
Mit erforschenden Fragen unterstützt Du Deine Schützlinge, ihre sportlichen Erfahrungen gründlicher zu reflektieren. Ihr beide erhaltet ein klareres Bewusstsein für Euren Standpunkt und den erfolgreichen Weg Eurer Zusammenarbeit. Ein Beispiel für erforschende Fragen ist:
- «Du hast erwähnt, dass … . Beschreibe mir das bitte detaillierter.»
Zukunftsorientierte Fragen
Sie helfen Euch in drei Aspekten: Deine Athleten werden angeregt, eigene zukünftige Lösungen zur sportlichen Entwicklung zu finden. Dies fördert ihre Motivation und geht auch dazu über, dass sie ihre sportlichen Ziele klarer formulieren. Hierzu folgendes Beispiel:
- Was kannst Du nächstes Mal in ähnlicher Situation machen, um den Fehler zu vermeiden?
Statt: Wieso hast Du den Fehler gemacht?
Tipp 2: Rapport (Verbindung aufbauen)
Rapport ist die Kunst, über das Gespräch eine vertrauens- und respektvolle Verbindung zu jemandem aufzubauen – getreu dem Motto: «Wir verstehen einander sehr gut.» Für einen gedeihlichen und sportlich-erfolgreichen Weg ist der Aufbau von Rapport für Trainer bedeutend. Es bieten sich hierfür zwei Anknüpfungspunkte:
Sich einander spiegeln
Sich «einander spiegeln» bedeutet, sich einander anzugleichen. Das unterstützt zum einen das gegenseitige Verständnis um ein Vielfaches. Zum anderen wird das Gefühl genährt, gemeinsam eine Einheit zu sein – mit gleichem Enthusiasmus, Wille und sportlichem Ziel. Sich einander anzugleichen, kann auf verschiedenen Ebenen funktionieren. Beispiele hierzu sind:
- Gestik
- Mimik
- Körpersprache
- Körperhaltung
- Stimme
- Atem
- Worte
- Sätze
Gemeinsame Werte teilen
Das Teilen gemeinsamer Werte spannt einen schlüssigen Bogen über Eure Zusammenarbeit. Geteilte Werte (wie z. B. Pünktlichkeit, Disziplin, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit) bauen Euch wertvolle Pfeiler, auf denen Eure sportliche Zusammenarbeit gründet.
Resümee
Dieser Artikel hebt die 8 Entwicklungsstufen eines Menschen hervor. Sie geben Dir eine bewährte Leitlinie, um die Individualität Deiner Athleten zu verstehen und ihre Bedürfnisse gemäss ihrer Entwicklungsphase besser einzuschätzen. Dieses Wissen bildet eine nennenswerte Grundlage für eine erfolgreiche Trainer-Athleten-Zusammenarbeit.
Die Berücksichtigung der Entwicklungsphasen schafft eine Umgebung, die die psychische Gesundheit Deiner Athleten fördert. Diese schafft darüber hinaus eine stabile Grundlage für sportliche Höchstleistungen und bildet die Grundvoraussetzung für sportlichen Erfolg.
Eure gemeinsame Kommunikation öffnet eine «gemeinsame Welt» für eine eindeutige und zielgerichtete Zusammenarbeit. Es gibt hierfür bewährte Werkzeuge, um die Verbindung zu Deinem Schützling zu vertiefen: Stelle offene und zukunftsorientierte Fragen. Hole Dir von Zeit zu Zeit über Skalierungsfragen ein Feedback, wo Deine Athleten momentan stehen. Das holt sie an einem persönlichen Punkt ab. Gleiche Dich zudem durch Gestik, Mimik, der Wortwahl und durch gemeinsame Werte mit Deinem Schützling ab. Auf diese Weise bildet ihr gemeinsam eine starke Einheit und verfolgt ganz natürlich das gemeinsame Ziel vom sportlichen Erfolg.