Wie kann ein Coach den Unterschied zwischen Trauer, Stimmungstief, Depression, Burn-out oder schlichtweg schlechter Laune einschätzen? Es ist in der Tat eine Frage, die eine Diagnose-Vielfalt anbietet und daher auch nicht so einfach zu beantworten ist. In diesem Artikel geben wir eine Orientierung, wie sich das Spektrum der oben genannten Stimmungen näher ermitteln lässt.
Wir alle wissen, dass der Trauerprozess zum Leben dazugehört und bestenfalls unterstützt oder begleitet werden sollte. Nur wie lange vollzieht sich ein gesunder Trauerprozess für Geist und Seele nach einem heftigen Schicksalsschlag? Und ab wann ist mit einer vollen Leistungsfähigkeit wieder zu rechnen? Die zeitliche Dimension (für einen Trauerprozess) ist nirgends von der Natur festgelegt. War im Mittelalter der Tod noch ein ständiger Begleiter, fällt der Umgang mit dem Tod heute vielen sehr schwer. Schnell fällt das Wort «depressiv».
Selbstverständlich ist der Umgang mit dem Tod ein individuelles Empfinden. Doch wie reagieren die Umwelt, die Angehörigen oder die Mitarbeitenden am Arbeitsplatz? Manche lassen sich lieber mit der Diagnose «Depression» krankschreiben, statt sich den Fragen ihres Umfelds zu stellen. Auch die Forschung ist sich nicht einig, ab wann Trauer zur psychischen Erkrankung wird und als klare Depression betitelt werden kann. Ein Thema, über welches nach wie vor debattiert wird.
Als Coach Licht ins Dunkel bringen
Prof. Birgit Wagner hat in einem aufklärendem Artikel im Psychotherapeutenjournal (3/2016) einen Überblick über den Forschungsstand in diesem besonderen und nicht minder komplexen Thema gegeben. Der Titel: Wann ist Trauer eine psychische Erkrankung?
Von aussen betrachtet ist die Grenze zwischen Depression, Trauer, Verstimmung sehr schwer zu ziehen. Und selbst für Betroffene ist es schwierig einzuschätzen, ab wann professionelle Hilfe nach massiven Schicksalsschlägen in Anspruch genommen werden soll. Eine Faustregel, die sich aus der Übersichtsarbeit ableiten lässt: Eine Verstimmung verbessert sich nach Tagen von allein.
Vorstufe zur Depression: Subklinische Depression
Der Psychiater Jefferson Price und die Psychologin Shelley Carson (2013) beschreiben in ihrem Buch «Almost Depressed» eine subklinische Depression. Diese geht dem Gefühl, mittelschwer bis schwer depressiv zu sein, voran. Also die Phase, in der die Erkrankung noch ausserhalb der Diagnose-Kriterien einer Depression liegen.
Sogenannte «beinahe Depressive» erleben ihre grauen Tage («Gray days») über Tage und Wochen. Sie sind mit ihrem Leben unzufrieden und erleben ihre Beziehungen zu anderen Menschen als unzufriedenstellend. Hinzu kommen Angst sowie körperliche und psychische Stresssymptome.
Was der Coach in diesem Fall tun kann
Auf der Ebene von «beinahe depressiv» kann ein Coach mit professionellen Tools intervenieren und frühzeitig die Weichen für einen anderen Weg stellen. Vorausgesetzt wird, dass eine fundierte Anamnese und Exploration durchgeführt wird. Beide sind von grosser Wichtigkeit in dieser Lebensphase des Klienten.
Folgende 10 Fragen bringen Klarheit in die Diagnose-Vielfalt und helfen bei der Einordnung erster Indizien:
- Fühlt sie/er sich seit längerer Zeit durchgängig traurig, niedergeschlagen oder hoffnungslos?
- Empfindet sie/er keine Freude, kein Vergnügen mehr?
- Ist sie/er ständig müde, erschöpft?
- Hat sie/er keinen Appetit mehr? Hat sie/er sogar abgenommen, ohne dies zu wollen?
- Schläft sie/er seit längerer Zeit schlecht, leidet sie/er unter Ein- und/oder Durchschlafstörungen?
- Fühlt, bewegt und denkt sie/er mit angezogener Handbremse oder wie unter Strom?
- Hat sie/er sein sexuelles Interesse verloren?
- Fühlt sie/er sich wertlos, unfähig, als Versager und quälen sie/ihn Schuldgefühle?
- Hat sie/er seit längerer Zeit auffällige Konzentrationsschwierigkeiten?
- Denkt sie/er manchmal über den Tod nach oder darüber, sich etwas anzutun?
Wenn der Klient mindestens 4 Fragen mit «Ja» beantwortet, ist er mit hoher Wahrscheinlichkeit depressiv und der Coach sollte ihm eine professionelle Hilfe empfehlen. Spätestens jetzt ist es sinnvoll, Adressen und ein professionelles Netzwerk in petto zu haben, damit er seinem Klienten wertvolle und angemessene Unterstützung bieten kann.