Viele Hypnotiseure fokussieren sich auf Trancetiefe als Schlüsselelement, um mit dem Unbewussten zu kommunizieren. Für viele Hypnotiseure ist die grösste Angst, dass der Klient nicht «tief» genug ist. Der befreundete amerikanische Familientherapeut Dr. Richard Nongard hat kürzlich darüber einen Blogartikel1 geschrieben. Darin erinnert er an die unter Hypnotiseuren verbreiteten Mythen der Trancetiefe. Folgend die Ausgabe ergänzt mit klinischen Forschungsergebnissen.
Mythos 1: Gehirnwellen zeigen uns, wann Hypnose stattfindet
Vielen von uns wurde beigebracht, dass Gehirnaktivitäten im Theta- und Deltabereich Trancetiefe und hypnotische Reaktionen zeigen. Das ist eine der Ideen hinter dem Runterzählen – dem «tiefer und tiefer» und der Entspannungstherapie. Die Gehirnaktivität alleine bestimmt jedoch nicht die hypnotische Aktivität. So wird z. B. bezüglich der Alpha-Aktivität in Hypnose über eine Vielzahl widersprüchlicher Befunde berichtet (vgl. Larbig & Miltner, 1993). Einerseits wird über einen Anstieg im Alpha-Bereich berichtet, andererseits konnten die Ergebnisse nicht bestätigt werden (vgl. Mészaroo u Banyai, 1978). In anderen Gehirnwellen-Bereichen kommt man auf ähnlich unschlüssige Ergebnisse.
Mythos 2: Trancetiefe existiert
Seit den ersten Studien über Hypnose hatten Akademiker die Aufgabe, Ergebnisse und Reaktionen zu messen. Die daraus entstandenen Stufenkonzepte sind ein Versuch, beobachtete hypnotische Phänomene zu bewerten und entlang einer Tiefendimension anzuordnen (vgl. Krause, 2009). Dabei wird angenommen, dass der Hypnotisand über Stufen in tiefe Trance gelangt.
Besonderes Interesse galt in den Skalen dem sogenannten Somnambulismus. Da die meisten Skalen auf subjektiven Beschreibungen beruhen, werden sie im klinischen Einsatz nicht verwendet (vgl. Krause, 2009). «Tiefe» ist eine Metapher, so wie Trance nur Trance ist, egal wie «tief» sie zu sein scheint.
Es geht bei der Metapher «Trancetiefe» vielmehr um ein «sich vertiefen» und um ein «sich in den Trance-Prozess zu involvieren». Dabei wird die Aufmerksamkeit auf das innere Erleben gerichtet, die für Suchprozesse benötigt wird.
Mythos 3: Tiefere Trance ist besser
Es fällt in den letzten Jahren ein steigendes Interesse bei Hypnotiseuren auf, dass eine «tiefere» Trance die bessere sei. Manchmal sogar um Klienten bis in komatöse Zustände zu führen, in welchen kaum noch Feedback zu erwarten ist.
Auch wenn Hypnose die Aktivität im Frontallappen verringert (vgl. Gruzelier, 1998), möchte ich in meinen Coachings, dass Klienten meinen Worten folgen können. Zudem sollen sie bewusst erleben können. In den knapp 20 Jahren Einsatz von Hypnose habe ich schon zahlreiche Klienten wieder «geweckt», weil sie kaum noch den Anweisungen folgten.
Für die meisten therapeutischen Zwecke ist leichte bis mittlere Trancetiefe besser geeignet. Für eine Integration von unbewusstem und bewusstem Wissen muss ein Brückenschlag zwischen Bewusstem und Unbewusstem möglich sein (vgl. Gerl, 2009).
Mythos 4: Der Sinn einer Induktion ist, den Klienten «tief» zu bringen
Ganz und gar nicht. Der Sinn einer Induktion ist bereits seit Erickson eine ständige Minimierung der Rolle des Hypnotiseurs (zit. nach Erickson 1952/1995). So wird die Induktion eine Anerkennung, dass eine Hypnose ein gemeinsames Bestreben ist: Der Patient tut die Arbeit, und der Therapeut versucht zu stimulieren und leitet an. Die «Tiefe» ist sekundär, sondern ein angemessener Trance-Prozess ist demnach wichtiger.
Mythos 5: Es gibt besonders mächtige, tiefe Trancezustände, die nur gute Hypnotiseure erreichen können
Der Glauben wird oft von Menschen verbreitet, die teure Trainings verkaufen, wie Du super-geheime somnambule Koma-Zustände erreichen kannst. Der Mythos steht im direkten Zusammenhang mit Mythos 3: Tiefere Trance ist besser. Während der Trancetiefe und dem -erleben eine wichtigere Rolle beigemessen wird, wird der wichtigere Trance-Prozess hier meist vernachlässigt.
Jeder Hypnotiseur kann «tiefe Zustände» mit seinen Klienten erreichen. Das benötigt keine aussergewöhnlichen Fähigkeiten, und dürfte in jeder Hypnoseausbildung zu den Basisfertigkeiten gehören.
Mythos 6: Klienten in Trance bleiben während der ganzen Session in der «tiefen» Trance.
Stelle Dir dies wie einen achtstündigen Schlaf vor. Wir wissen, dass der Schlaf mal tiefer (REM-Phasen) und auch mal weniger tief ist. So verhält es sich auch mit dem Trance-erleben bzw. der Trancetiefe des Klienten.
Manche Dinge sind in der Nacht aktiver als andere, wie auf die Toilette gehen. Es gibt Dinge, an die man sich erinnert, und manches geht vergessen. So funktioniert das Gehirn auch in einer Hypnosesitzung. Klienten erleben eine gewisse Aufmerksamkeitsfokussierung, die durchweg wertvoll ist. Auch Frustration kann in einer Hypnose wertvoll sein, wenn sie als Lernerfahrung nutzt.
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Referenzen
- Gerl, W. (2009). Vertiefung der Trance. In: Revenstorf, D., Peter, B. (eds) Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg.
- Gruzelier, J. (1998). A working model of the neurophysiology of hypnosis: A review of evidence. Contemporary Hypnosis. 15. 3-21. 10.1002/ch.112.
- Krause, C. (2009). Hypnotisierbarkeit, Suggestibilität und Trancetiefe. In: Revenstorf, D., Peter, B. (eds) Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin. Springer, Berlin, Heidelberg.
- Larbig, W. & Miltner, W. (1993). Hirnelektrische Grundlagen der Hypnose. In Revenstorf, D. (Hrsg). Klinische Hypnose. Berlin: Springer; 105-121.
- Meszaros, L. & Banyai E. (1978). Electrophysiological characteristics ofhypnosis. In: Lissak K. (ed). Neural and Neurohumoral Organization of Motivational Behavior (173-187). Budapest: Academia Kiado.
- Nongard, R. (2017). 6 Myths about trance depth most hypnotists buy into…