Für viele mit Hypnose Arbeitende ist Trancetiefe ein Schlüsselelement, um mit dem sogenannten «Unbewussten» zu kommunizieren. Dabei ist deren grösste Sorge, Klienten «tief» genug in den Zustand zu bringen. Folgend wissenschaftliche Fakten rund um die sogenannte Trance, die man als Hypnose-Coach oder -Therapeut wissen sollte.
Mythos 1: Gehirnwellen zeigen uns, wann Hypnose stattfindet
In vielen Ausbildungen wird vermittelt, dass Gehirnwellenaktivitäten im Theta- und Deltabereich Trancetiefe und hypnotische Reaktionen belegen. Das ist z. B. eine der Ideen hinter dem Zählen von 10 bis 0. Oder auch den Suggestionen wie «tiefer und tiefer». Aus der Gehirnwellenaktivität allein kann jedoch nicht erkannt werden, ob Hypnose stattfindet. So wird bezüglich der Alpha-Aktivität in Hypnose über eine Vielzahl widersprüchlicher Befunde berichtet (vgl. Larbig & Miltner, 1993). Einerseits wird über einen Anstieg im Alpha-Bereich berichtet, andererseits konnten die Ergebnisse nicht bestätigt werden (vgl. Mészáros & Banyai, 1978). In anderen Gehirnwellen-Bereichen kommt man auf ähnlich unschlüssige Ergebnisse.
Worüber hingegen in der Forschung weitestgehend Einigkeit herrscht, ist, dass in dem veränderten Bewusstseinszustand funktionelle Veränderungen im Gehirn beobachtbar sind. So unter anderem:
Sobald jemand in einen hypnotischen Zustand geht, reduziert es die Aktivität im dorsalen anterioren Zingulatorkortex (dACC), des Salienz-Netzwerkes. Der Bereich sagt dir, ob du aufmerksam sein solltest, oder nicht. Wenn es etwa laut ist, schreckst du auf und schaust, was es ist. Dabei löst du dich davon, worauf du dich gerade konzentriert hast. Hypnose hilft sich besser zu konzentrieren und weniger darüber zu sorgen, was um einem herum passiert.
Das andere, was passiert, ist eine höhere Verbindung zwischen dem dorsolateralen präfrontalen Kortex (DLPFC) auf der linken Seite – Bestandteil der Exekutivfunktionen – und der Insula, einem wichtigen Gehirn-Körper-Pfad. Die Insula hilft dem Gehirn zu kontrollieren, was im Körper geschieht. Damit hat man eine grössere Fähigkeit auf Körperfunktionen Einfluss zu nehmen.
Gleichzeitig ist die Verbindung zwischen den Exekutivfunktionen und dem Default Mode Netzwerk (DMN) reduziert. Das DMN ist im Gehirn aktiv, wenn man über sich selbst nachdenkt sowie reflektiert, wer man ist und was das bedeutet (vgl. Jiang et al., 2017).
Mythos 2: Trancetiefe existiert
Seit den ersten Studien über Hypnose hatten Forscher die Aufgabe, Ergebnisse und Reaktionen zu messen. Die daraus entstandenen Stufenkonzepte waren ein Versuch, beobachtete hypnotische Phänomene zu bewerten und entlang einer Tiefendimension anzuordnen (vgl. Krause, 2009). Dabei wurde angenommen, dass man über Stufen in eine tiefe hypnotische Trance gelangt.
Besonderes Interesse galt in den Skalen dem sogenannten Somnambulismus. Da die meisten Skalen auf Beschreibungen der Hypnotisierten beruhen, können sie nicht verwendet werden (vgl. Krause, 2009).
«Tiefe» ist daher eine Metapher, so wie Trance nur Trance ist, egal wie «tief» sie zu sein scheint. Es geht bei der Metapher «Trancetiefe» vielmehr um ein «sich vertiefen» und um ein «sich in den Trance-Prozess zu involvieren». Dabei wird die Aufmerksamkeit auf das innere Erleben gerichtet, die für Suchprozesse benötigt wird.
Neurowissenschaftliche Beweise interpretieren hypnotische Trance als einen veränderten Bewusstseinszustand, der Aufmerksamkeit, Konzentration und das Loslassen von Gedanken betont (vgl. Halsband, Mueller, Hinterberger & Strickner, 2009; Rainville, Hofbauer, Bushnell, Duncan & Price, 2002).
Des Weiteren sind Aufmerksamkeitskontrolle, Konzentration, Vorstellungskraft, mentale Entspannung, veränderte Wahrnehmung der Umgebung, das Lösen von logischem und kritisch-analytischem Denken alles charakteristische Elemente der Hypnose (Halsband et al., 2009).
Halsband & Wolf (2021) argumentieren zugegebenermassen überzeugend:
“Wie können wir erwarten, die unterschiedlichen neurobiologischen Zusammenhänge herauszufinden, ohne die verschiedenen Ebenen der hypnotischen Trance und ihre Grenzen richtig definieren zu können?”
Mythos 3: Der Sinn einer Induktion ist, den Klienten «tief» zu bringen
Ganz und gar nicht. Der Sinn einer Induktion ist bereits seit Erickson eine ständige Minimierung der Rolle des Hypnotiseurs (zit. nach Erickson 1952/1995). So wird die Induktion ein Einverständnis, dass eine Hypnose ein gemeinsames Unternehmen ist: Der Patient tut die Arbeit, und der Hypnotiseur hilft zu stimulieren und leitet an. Die «Tiefe» ist sekundär, der Prozess ist wichtiger.
Mythos 4: Es gibt besondere, tiefe Trancezustände, die nur gut geschulte Hypnotiseure erreichen können
Der Mythos steht im direkten Zusammenhang mit Mythos 2: Trancetiefe existiert.
Mythos 5: Klienten in Trance bleiben während der ganzen Session in der «tiefen» Trance
Stelle dir einen achtstündigen Schlaf vor. Wir wissen, dass der Schlaf mal tiefer (REM-Phasen) und auch mal weniger tief ist. So verhält es sich auch mit dem Trance-Erleben des Klienten.
Manche Dinge sind in der Nacht aktiver als andere. Es gibt Dinge, an die man sich erinnert, und manches geht vergessen. So funktioniert das Gehirn auch in einer Hypnose. Klienten erleben eine gewisse Aufmerksamkeitsfokussierung, die durchweg wertvoll ist. Auch Frustration kann in einer Hypnose wertvoll sein, wenn sie als Lernerfahrung genutzt wird.
Resümee
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Hypnose ein veränderter Bewusstseinszustand ist, der genutzt werden kann, um Konzentration und Entspannung zu verbessern. Und auch, um Klienten dabei zu unterstützen, ihr Leiden zu lindern. Neurowissenschaftliche Untersuchungen haben dabei gezeigt, dass es während dieses Zustands funktionelle Veränderungen im Gehirn gibt, woraus aber keine Trance oder Trancetiefe erkannt werden kann. Trance ist ein Erlebnis, das weder genau gemessen noch definiert werden kann. – Trancetiefe ist eine Metapher.
Am nächsten kommt die Erklärung, dass eine Trance einem „Involviert-sein in den Prozess“ am nächsten kommt. Und dabei ist „die Tiefe“, wie sehr eine Person in den Prozess involviert ist. Für Klienten, die von einer tiefen Trance berichten, belegen, dass sie sich dem Prozess zwischen ihnen und Hypnose-Coach voll gewidmet haben.
Daher kann man sagen, dass die Induktion zwar ein Schritt für eine Hypnose zu sein scheint, aber nicht der wichtigste Schlüssel. Wichtiger für einen hypnotischen Zustand ist die vertrauensvolle Beziehung und ein sich „gut aufgehoben Fühlen“ der Klienten. Damit wird der Weg geebnet, um sich ganz in den Coaching-Prozess zu involvieren.